1 Vertrauen in der interorganisationalen Zusammenarbeit

In einer sich stetig wandelnden, globalen und digitalisierten (Arbeits‑)Welt sind Organisationen vermehrt auf die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren angewiesen. Diese kann jedoch aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen und vielfältiger Arbeitsstrukturen Unsicherheiten und Spannungen mit sich bringen. Daher gelten zwischenmenschliche Faktoren wie Vertrauen und ein aktives Vertrauensmanagement als zentral für den Erfolg interorganisationaler Zusammenarbeit (Vangen und Huxham 2003). Interpersonales Vertrauen beschreibt dabei die Bereitschaft Risiken einzugehen, da man die andere Person als vertrauenswürdig wahrnimmt und von ihr angemessene Gegenleistungen erwartet (Mayer et al. 1995). Vertrauen zwischen Organisationen kann mit vielfältigen Wirksamkeiten einhergehen, welche den Erfolg der Zusammenarbeit unterstützen. So ist es möglich, dass interorganisationales Vertrauen beispielsweise das Commitment der Mitarbeitenden und des Managements stärkt (Brinkhoff et al. 2015). Zudem zeichnet sich eine vertrauensvolle Beziehung durch eine offene Kommunikation aus, wodurch ein konstruktiver Umgang mit Konflikten gefördert werden könnte (Morgan und Hunt 1994). Über solche Beziehungsaspekte besteht die Möglichkeit, dass sich gegenseitiges Vertrauen indirekt auf verschiedenste ökonomische und leistungsbezogene Kriterien auswirkt (Delbufalo 2012). Angesichts dieser vielfältigen potenziellen Wirkungen können vertrauensgenerierende und -förderliche Bedingungen daher ebenfalls als Erfolgsfaktoren für die interorganisationale Zusammenarbeit gesehen werden.

1.1 Organisationale Gerechtigkeit und Vertrauen

Organisationale Gerechtigkeit hat das Potenzial, eine solche vertrauensförderliche Bedingung zu sein (Colquitt et al. 2013). Unter diesen Begriff werden subjektive Gerechtigkeitserfahrungen im organisationalen Kontext gefasst, welche sich auf vier verschiedene Aspekte beziehen können (Colquitt 2001): eine gerechte Aufgaben- und Ressourcenverteilung (distributive Gerechtigkeit), faire Abläufe und Entscheidungsprozesse (prozedurale Gerechtigkeit), einen respektvollen persönlichen Umgang (interpersonale Gerechtigkeit) und angemessene Auskünfte und Erklärungen (informationale Gerechtigkeit). In der interorganisationalen Zusammenarbeit ist beispielsweise bedeutsam, ob die jeweiligen Leistungen in einem fairen Verhältnis zu den jeweiligen Erträgen und Ressourcen stehen, inwiefern alle Kooperationsparteien an Entscheidungen mitwirken können oder bei solchen ihre Interessen berücksichtigt werden, ob ein höflicher, respektvoller Umgang zwischen den Kooperationsverantwortlichen besteht, oder inwiefern Auskünfte und Informationen über Abläufe und Entscheidungen zwischen den Kooperationsparteien ausgetauscht werden (Duffy et al. 2013).

Die Bedeutung organisationaler Gerechtigkeitsdimensionen für das Vertrauen wurde bereits in mehreren Studien bestätigt (vgl. Colquitt et al. 2013), wobei die interorganisationale Zusammenarbeit jedoch nur in wenigen dieser Studien untersucht wird. Darüber hinaus wird im interorganisationalen Kontext bislang selten die informationale Gerechtigkeit einbezogen und werden häufig nicht alle Dimensionen gleichzeitig betrachtet (Bouazzaoui et al. 2020).

Zudem unterscheidet bisherige Forschung kaum explizit zwischen Gerechtigkeits- und Ungerechtigkeitserleben, obwohl organisationale Bedingungen auch als ungerecht wahrgenommen werden können (Hillebrandt und Barclay 2013). Meist wird eine gering ausgeprägte oder negierte Gerechtigkeit als Ungerechtigkeit interpretiert, dabei handelt es sich um zwei distinkte Konstrukte: Während Gerechtigkeitsüberzeugungen primär durch die kognitive Bewertung anhand von Gerechtigkeitskriterien entstehen, ist Ungerechtigkeitserleben stärker emotional aufgeladen, sodass unterschiedliche Vorbedingungen und Auswirkungen denkbar sind (Hillebrandt und Barclay 2013). Hierauf deuten auch Saunders und Thornhill (2004) mit ihrer qualitativen Fallstudie hin: Hoch ausgeprägtes Vertrauen innerhalb der Organisation ging mit Erfahrungen von informationaler und interpersonaler Gerechtigkeit einher, während prozedurale und distributive Ungerechtigkeit stärker mit Misstrauen assoziiert waren. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern die verschiedenen Gerechtigkeitsdimensionen sowie das Erleben von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit auch in der interorganisationalen Zusammenarbeit jeweils spezifisch auf das Vertrauen wirken.

1.2 Die Rolle affektiven Erlebens im Zusammenhang von organisationaler Gerechtigkeit und interpersonalem Vertrauen

Komplexe und teils widersprüchliche Befunde hinsichtlich der Beziehung zwischen informationaler Gerechtigkeit und Vertrauen (Colquitt und Rodell 2011; Frazier et al. 2010) legen nahe, dass unterschiedliche psychologische Prozesse diesem Zusammenhang zugrunde liegen. Diese könnten auch mögliche differenzielle Wirksamkeiten von (Un‑)Gerechtigkeitserleben auf Vertrauen erklären.

Affektive bzw. emotionale Prozesse als integraler Bestandteil des menschlichen Erlebens bieten sich als eine solche Mediatorvariable an. Konkrete Emotionen wie Freude oder Wut sind eine direkte Folge von wahrgenommenen Ereignissen und beeinflussen die einstellungs- und verhaltensbezogenen Reaktionen (Weiss und Cropanzano 1996). Im Sinne der Appraisal Theorie (Lazarus 1991) werden Handlungen anderer Personen u. a. dahingehend bewertet, inwiefern sie eigene Ziele unterstützen. Diese Bewertung ruft wiederum konkrete Emotionen mit entsprechender Valenz hervor. Somit geht jede Emotion mit spezifischen Kognitionsmustern einher. Im Gegensatz dazu bezeichnet Affekt vor allem die Gefühlskomponente von Emotionen, welche als angenehm oder unangenehm erlebt wird (Weiss und Cropanzano 1996).

Aus der Allgegenwärtigkeit von Affekt folgt, dass auch das Erleben organisationaler (Un‑)Gerechtigkeit stets affektbeladen ist (Colquitt et al. 2013): Organisationale Gerechtigkeit kann positiv erlebte Emotionen erhöhen und negativ erlebte Emotionen vermindern (Barclay und Kiefer 2014; Hoobler und Hu 2013; Jacobs et al. 2014), während organisationale Ungerechtigkeit stärker mit negativ erlebten Emotionen assoziiert ist (Kumar et al. 2019; Lee 2022). Erhält man beispielsweise Informationen rechtzeitig und schätzt man diese als relevant für persönliche Ziele ein, könnte dies die Freude über die dienliche Information stärken.

Emotionen beeinflussen wiederum, wie wir andere Menschen beurteilen (Schwarz 2012). Informationen werden unterschiedlich verarbeitet und je nach Emotionslage sind soziale Konstrukte mehr oder weniger zugänglich. Zudem dienen erlebte Emotionen selbst als Informationsquelle darüber, wie die andere Person und ihr Handeln zu bewerten sind (Schwarz 2012). Im Fall der Informationsweitergabe können insbesondere positiv erlebte Emotionen dazu führen, dass die andere Person als vertrauenswürdig bewertet wird und das Vertrauen in sie wächst (Lee et al. 2011).

In der Forschung nehmen Affekt bzw. Emotionen meist die Rolle als Mediator zwischen organisationaler Gerechtigkeit und verschiedenen, überwiegend behavioralen Outcomevariablen ein (Colquitt et al. 2013; Hoobler und Hu 2013; Jacobs et al. 2014; Lee 2022). Uns ist jedoch keine Studie bekannt, in welcher informationale Gerechtigkeit gemeinsam mit Affekt und Vertrauen im interorganisationalen Kontext betrachtet wird.

1.3 Fragestellungen und Hypothesen

Die beiden im Folgenden vorgestellten, aufeinander aufbauenden Studien beleuchten, wie Vertrauen in der interorganisationalen Zusammenarbeit gefördert werden kann.

In Studie 1 wird untersucht, inwieweit sich differenzielle Zusammenhänge zwischen (Un)Gerechtigkeit und Vertrauen zeigen. Hierbei wird die Forderung nach der differenzierten Betrachtung von Gerechtigkeit aufgegriffen (Hillebrandt und Barclay 2013). Zudem werden die vielfältigen Ausgestaltungen einer interorganisationalen Zusammenarbeit durch qualitative Fragestellungen abgebildet und somit die primär quantitative Kooperationsforschung ergänzt (Bouazzaoui et al. 2020):

  • FS1: Inwiefern kann die Wahrnehmung organisationaler Gerechtigkeit den Aufbau von Vertrauen fördern?

  • FS2: Inwiefern kann die Wahrnehmung organisationaler Ungerechtigkeit zum Verlust bestehenden Vertrauens führen?

Darauf aufbauend vertieft Studie 2 diese Befunde und untersucht, inwiefern affektive Prozesse dem Zusammenhang von Gerechtigkeitserleben und Vertrauenswürdigkeit zugrunde liegen. Affekt wird somit als erklärende Mediatorvariable geprüft. Exemplarisch wird hierfür informationale Gerechtigkeit als bislang mitunter am wenigsten untersuchte Gerechtigkeitsdimension betrachtet (Bouazzaoui et al. 2020):

  • H1: Der Zusammenhang von informationaler Gerechtigkeit und wahrgenommener Vertrauenswürdigkeit wird durch positiv erlebte Emotionen (z. B. Freude, Stolz) mediiert.

  • H2: Der Zusammenhang von informationaler Gerechtigkeit und wahrgenommener Vertrauenswürdigkeit wird durch negativ erlebte Emotionen (z. B. Ärger, Enttäuschung) mediiert.

2 Folgen organisationaler (Un‑)Gerechtigkeit bezogen auf den Aufbau und Verlust von Vertrauen (Studie 1)

2.1 Methode

Um Zusammenhänge zwischen organisationaler (Un-)Gerechtigkeit und Vertrauen zu untersuchen, wurden Mitglieder verschiedener Organisationen, wie Wirtschaftsunternehmen, administrative Einrichtungen oder Schulen, interviewt (N = 12). Diese Mitarbeitenden waren für die Kooperation mit Hochschulen innerhalb eines Wissenstransferprojektes verantwortlich.

Mittels eines halbstandardisierten Interviewleitfadens wurden die Verantwortlichen zu tatsächlichen und potenziellen Situationen befragt, die ihr Vertrauen in die Kooperationspartner:innen der Hochschulen stärken oder beschädigen (könnten). Die Frage nach potenziellen Situationen innerhalb der Kooperation erleichterte die Zugänglichkeit insbesondere für vertrauensschädigende Bedingungen, welche etwa durch sozialerwünschtes Antwortverhalten seltener genannt worden wären. Die Fragen wurden offen formuliert (z. B. „Haben Sie den Eindruck der Ansprechperson vertrauen zu können? Falls ja, weshalb?“, „Wann können Sie einer Person nicht so gut vertrauen?“). Die Interviews wurden mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2022) ausgewertet: Zwei Coderinnen ordneten die Aussagen zunächst unabhängig voneinander anhand eines deduktiven Kategoriensystems (vgl. Anhang) zu den vier Dimensionen organisationaler Gerechtigkeit zu. Fehlende Übereinstimmungen betrafen v. a. die Frage, ob einzelne Interviewausschnitte inhaltlich aussagekräftig genug für eine Kodierung sind oder wie breit einzelne Textteile gefasst werden. War die Zuordnung zu den Gerechtigkeitsdimensionen betroffen, wurden entsprechende Kodierregeln aufgestellt und bereits erstellte Codes revidiert. Einzelne weiterhin uneindeutige Aussagen wurden entsprechend Mayring (2022) ausgeschlossen. Die Unstimmigkeiten wurden hingegen nicht systematisch ausgewertet (z. B. mittels Intercoder-Reliabilität), da dies der interpretativen Agenda qualitativer Forschung widersprechen würde und stark durch die Komplexität des Materials und Vorerfahrungen der Coderinnen verzerrt sein könnte (z. B. Feng 2014; O’Connor und Joffe 2020). Durch den zuvor beschriebenen iterativen Prozess wurde die Auswertungsgüte sichergestellt.

2.2 Ergebnisse

Nachfolgend wird der Beitrag der vier Dimensionen organisationaler (Un‑)Gerechtigkeit (Colquitt 2001) zum Aufbau und Verlust von Vertrauen zwischen den Beteiligten in der interorganisationalen Zusammenarbeit untersucht. Tab. 1 gibt einen Überblick über die qualitativen Ergebnisse.

Tab. 1 Häufigkeiten gerechtigkeitsbezogener Variablen in Bezug auf Vertrauensaufbau und -verlust

Vertrauensaufbau

Hinsichtlich des Vertrauensaufbaus werden Aspekte der distributiven, informationalen und interpersonalen Gerechtigkeit am häufigsten genannt. Distributive Gerechtigkeit bezieht sich z. B. auf das Hinarbeiten auf gemeinsame Ziele, gegenseitige Unterstützung und beidseitigen Nutzen. Informationale Gerechtigkeit umschließt etwa regelmäßige Abstimmungstreffen, klare Rollen und Zuständigkeiten sowie eine offene, ehrliche Kommunikation. Persönliche Beziehungen, informeller und angenehmer Austausch sowie gegenseitige Wertschätzung werden unter interpersonale Gerechtigkeit gefasst. Deutlich seltener werden Aspekte der prozeduralen Gerechtigkeit mit der Entstehung von Vertrauen in Verbindung gebracht. Diese beziehen sich beispielsweise auf faire Problemlösungen, konsistente Prozesse und ethisch-moralische Ziele.

Vertrauensverlust

Ein leicht anders gelagertes Bild ergibt sich für die Frage, welche Aspekte das Vertrauen beschädigen können. Die meisten Aussagen betreffen die Wahrnehmung distributiver Ungerechtigkeit, z. B. verzögerte und ressourcenintensive Arbeitsprozesse, divergierende Zielsetzungen und unzureichenden Input der Gegenseite. Am zweithäufigsten wird informationale Ungerechtigkeit genannt. Diese bezieht sich auf einen fehlenden Austausch über Probleme und verschiedene Ansichten, unklare Zuständigkeiten und Ziele sowie mangelnde Absprachen. Prozedurale Ungerechtigkeit wird fast genauso häufig angesprochen, wobei die Aussagen dazu nur von einem Drittel der befragten Personen stammen. Hiermit sind insbesondere Konkurrenzverhalten, fehlende Strukturen oder Missachtung von Regeln und Vorgaben gemeint. Am seltensten wird interpersonale Ungerechtigkeit thematisiert, welche eine mangelnde persönliche Passung, Geringschätzung und fehlende Umgangsformen umfasst.

3 Affekt als Mediator der vertrauensförderlichen Wirkung informationaler Gerechtigkeit (Studie 2)

3.1 Methode

Die folgende quantitative Studie vertieft die Befunde der qualitativen Studie zum Zusammenhang von Gerechtigkeit und Vertrauen, indem die zugrundeliegenden psychologischen Prozesse näher untersucht werden.

Stichprobe

Mittels eines Online-Fragebogens wurde eine größere Gruppe von Kooperationsverantwortlichen aus den hochschulexternen Organisationen befragt (N = 74). Die Stichprobe weist eine hohe Variabilität hinsichtlich Kontakthäufigkeit, Organisationsart sowie Kooperationsdauer auf: 9,5 % stehen mindestens einmal pro Woche, 25,7 % mehrmals im Monat, 39,2 % mehrmals pro Halbjahr und 25,7 % bis zu einmal pro Halbjahr in Kontakt mit den Hochschulen. Die Befragten sind tätig in Wirtschaftsunternehmen (18,9 %), in der öffentlichen Verwaltung oder Politik (24,3 %), in Schulen (13,5 %) oder in sonstigen Organisationen (20,3 %) wie etwa gemeinnützigen Vereinen oder Verbänden. Kooperationsbeziehungen zu den Hochschulen bestehen seit mindestens 20 Jahren (22,4 %), zwischen 10 und 19 Jahren (20,9 %), zwischen 5 und 9 Jahren (23,9 %) und weniger als 5 Jahren (32,8 %).

Erfasste Variablen

Drei Items der Originalskala zur informationalen Gerechtigkeit (Colquitt 2001) wurden für den Erhebungskontext modifiziert und erfassen, inwiefern das Informationsmanagement der Hochschulen hinsichtlich Umfang, Quelle und Zeitpunkt von Informationen als angemessen wahrgenommen wird (α = 0,92; Shapiro et al. 1994). Die Dimensionen Kompetenz, Wohlwollen und Integrität der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit wurden auf die konkreten Kooperationspartner:innen an den Hochschulen bezogen und anhand von sechs Items erhoben (α = 0,94; Mayer et al. 1995). Zudem wurde erfragt, inwiefern bestimmte Emotionen bei der Zusammenarbeit erlebt werden. Dazu wurden jeweils vier Items zu positiv (α = 0,88) und negativ erlebten Emotionen (α = 0,87) des Positive and Negative Affect Schedule (Watson et al. 1988) in deutscher Version verwendet. Für alle Skalen drückten die Befragten ihre Zustimmung mittels einer sechsstufigen Likert-Skala zu den jeweiligen Items aus (1 = trifft überhaupt nicht zu, 6 = trifft völlig zu). Insgesamt wurden somit etablierte Skalen eingesetzt. Zudem wurden umfängliche Item- und Skalenanalysen durchgeführt, die die Güte der Instrumente und damit ihre Anwendbarkeit auf den vorliegenden Kontext bestätigen. Darüber hinaus wurden weitere Selbsteinschätzungen zu Chancen und Barrieren der Zusammenarbeit, Kooperationskultur, Engagementbereitschaft und spezifischen Erfolgskriterien der Kooperation erfasst.

3.2 Ergebnisse

Auf deskriptiver Ebene werden informationale Gerechtigkeit leicht überdurchschnittlich und Vertrauenswürdigkeit sowie positiv erlebte Emotionen sehr hoch eingeschätzt. Hingegen liegen negativ erlebte Emotionen deutlich unter dem Skalenmittel. Die Variablen stehen zueinander in einem sinnvollen Zusammenhang. So werden die Erwartungen an positiv und negativ gerichtete korrelative Zusammenhänge sowie an ihre jeweiligen Stärken erfüllt (vgl. Tab. 2).

Tab. 2 Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen

Die sich anschließenden Mediationsanalysen werden mit PROCESS (Hayes 2018) berechnet (Abb. 1). Die Linearität des Verhältnisses der Variablen ist nach visueller Prüfung der Matrixdiagramme mit LOESS-Glättung gegeben. Der Effekt von wahrgenommener informationaler Gerechtigkeit auf Vertrauenswürdigkeit wird bestätigt (B = 0,204, p < 0,01, 95 %-CI[0,05, 0,36]).

Abb. 1
figure 1

Ergebnisse der Mediationsanalyse

Nach gemeinsamer Aufnahme der Mediatoren in das Modell wird der Mediator positiv erlebte Emotionen signifikant durch die wahrgenommene informationale Gerechtigkeit vorhergesagt (B = 0,331, p < 0,01, 95 %-CI[0,13, 0,53]). Zugleich sagen positiv erlebte Emotionen Vertrauenswürdigkeit signifikant vorher (B = 0,374, p < 0,01, 95 %-CI[0,17, 0,57]). Negativ erlebte Emotionen qualifizieren sich hingegen nicht als Mediator: Keine signifikanten Einflüsse zeigen sich von der wahrgenommenen informationalen Gerechtigkeit auf negativ erlebte Emotionen (B = −0,214, p = 0,09, 95 %-CI[−0,46, 0,04]) als auch von negativ erlebten Emotionen auf Vertrauenswürdigkeit (B = −0,153, p = 0,18, 95 %-CI[−0,38, 0,07]). Der Einfluss der wahrgenommenen informationalen Gerechtigkeit auf die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit wird vollständig durch positiv erlebte Emotionen mediiert, indirekter Effekt ab = 0,124, 95 %-CI[0,05, 0,22]. Demzufolge wird Hypothese 1 angenommen und Hypothese 2 abgelehnt. Die post-hoc mit G*Power berechnete Teststärke für das regressionsanalytische Gesamtmodell beläuft sich auf 0,99 (R2 = 0,3775, α = 0,05).

4 Diskussion

Zwischenmenschliches Vertrauen ist in der interorganisationalen Zusammenarbeit ein bedeutsamer Erfolgsfaktor. Um dieses Vertrauen potenziell zu fördern, bietet sich organisational gerechtes Handeln als umfassender und grundlegender Gestaltungsansatz an. Die beiden hier vorgestellten Studien vervollständigen dieses Bild, indem sie für die interorganisationale Zusammenarbeit untersuchen, inwiefern das Gerechtigkeitserleben zur Vertrauensgenese beiträgt und welche Rolle das affektive Erleben hierbei einnimmt. Dabei werden empirisch bislang wenig berücksichtigte Gesichtspunkte einbezogen: Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sowie Vertrauensaufbau und -verlust werden differenziert betrachtet und affektives Erleben wird explizit untersucht (Hillebrandt und Barclay 2013).

Die qualitativen Ergebnisse aus Studie 1 weisen darauf hin, dass die Dimensionen organisationaler (Un‑)Gerechtigkeit unterschiedlich bedeutsam für die Vertrauensgenese in der interorganisationalen Zusammenarbeit sind. So scheint Vertrauen insbesondere durch distributive, informationale und interpersonale Gerechtigkeit aufgebaut zu werden. Im Gegensatz dazu legen frühere Befunde jedoch nahe, dass distributive Gerechtigkeit im Vergleich zu den anderen Dimensionen weniger bedeutsam für den Vertrauensaufbau innerhalb einer Organisation sei (z. B. Colquitt und Rodell 2011; Barling und Phillips 1993; Saunders und Thornhill 2004). Dies könnte darin begründet sein, dass einheitliche und etablierte Strukturen für eine klare Erwartungshaltung hinsichtlich Leistungen und Gegenleistungen innerhalb einer Organisation sorgen. Hingegen ist dies in der Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Organisationen nicht zwingend der Fall und könnte der fairen Ressourcenverteilung somit eine stärkere Bedeutung geben.

Darüber hinaus scheinen faire, konsistente und unvoreingenommene Prozesse sowie die Möglichkeit zur Partizipation (prozedurale Gerechtigkeit) eine geringere Rolle für den Vertrauensaufbau zu spielen. Das Einhalten solcher „Spielregeln“ könnte in der Zusammenarbeit als selbstverständlich betrachtet werden und daher weniger Vertrauen aufbauen, sondern primär den Status Quo aufrechterhalten.

Demgegenüber leidet das Vertrauen wohl am stärksten bei distributivem Ungerechtigkeitserleben (vgl. Saunders und Thornhill 2004): Schließlich dürfte das grundlegende Ziel einer Zusammenarbeit sein, auf beiden Seiten einen Zugewinn für eigene organisationale Ziele zu generieren. Bleibt dieser aus, könnte das als offensichtlicher Vertrauensbruch gelten.

In Übereinstimmung mit Saunders und Thornhill (2004) ist in unserer Studie die prozedurale Dimension wesentlich bedeutsamer für den Verlust als für den Aufbau von Vertrauen. Dies deutet möglicherweise auf ihre besondere Funktion und die Rolle des affektiven Erlebens hin: Die emotionalen Reaktionen fallen bei prozeduraler Ungerechtigkeit im Vergleich zu prozeduraler Gerechtigkeit meist deutlich stärker aus (Weiss et al. 1999). Dabei rufen prozedurale Ungerechtigkeiten primär aktivierende Emotionen wie Ärger und Wut hervor, während etwa distributive Ungerechtigkeiten stärker mit trübsinnbezogenen Emotionen wie Traurigkeit und Enttäuschung einhergehen (Kumar et al. 2019). Sich nicht an selbstverständliche, zumal in der interorganisationalen Zusammenarbeit häufig vertraglich festgehaltene „Spielregeln“ zu halten, kann als starker Vertrauensbruch ins Gewicht fallen und zu stark ausgeprägten Emotionen wie Empörung oder Ärger führen. Diese starken emotionalen Reaktionen auf prozedurale Ungerechtigkeiten spiegeln sich auch in den Interviewaussagen wider, in denen ein Drittel der Befragten reale Erfahrungen geschildert hatte. Solche Äußerungen lassen bereits vermuten, dass Emotionen im Zusammenhang von Gerechtigkeit und Vertrauen eine entscheidende Rolle einnehmen.

Dieser potenzielle Mediationseffekt von Emotionen wurde in Studie 2 mit quantitativen Methoden untersucht: Positiv erlebte Emotionen mediierten den Einfluss wahrgenommener informationaler Gerechtigkeit auf die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit. Dieser Befund steht im Einklang mit den Annahmen der Appraisal Theorie (Lazarus 1991) und des Feelings-as-Information-Paradigmas (Schwarz 2012): Wenn Kooperationspartner:innen ihr Gegenüber transparent, umfassend und zeitnah über Vorgänge informieren, stärkt dies bei der anderen Person möglicherweise die Zuversicht in das gemeinsame Tun sowie ihren Stolz über erzielte Ergebnisse. Dieser positive Affekt kann wiederum die Bewertung der Kooperationspartner:innen als zuverlässig, wohlwollend und kompetent fördern. Darüber hinaus könnte die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit zu positiv erlebten Emotionen führen, welche die Beurteilung von Bedingungen als gerecht beeinflussen können. Der untersuchte Zusammenhang von Gerechtigkeit, Affekt und Vertrauenswürdigkeit dürfte also nicht lediglich einer geradlinigen Wirkungskette, sondern vielmehr einem Kreislauf potenzieller Wechselwirkungen entsprechen.

Entgegen Hypothese 2 qualifizieren sich negativ erlebte Emotionen nicht als Mediator, obwohl ein signifikanter negativer Zusammenhang mit wahrgenommener informationaler Gerechtigkeit und Vertrauenswürdigkeit besteht. Einerseits kann dies mit ähnlichen Befunden von Barclay und Kiefer (2014) erklärt werden: Positiv erlebte Emotionen waren bedeutsamer für die Vorhersage von Annäherungsverhalten, wohingegen negativ erlebte Emotionen stärker zu Vermeidungsverhalten führten. Auch andere Studien berichten infolge von negativ erlebten Emotionen primär kontraproduktives Verhalten wie eine absichtlich reduzierte Arbeitsleistung (z. B. Jacobs et al. 2014). In diesem Zusammenhang könnte die als gering wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit eher als schwach ausgeprägtes Annäherungsverhalten verstanden werden, während sich Vermeidungsverhalten eher in Misstrauen widerspiegeln würde. Andererseits könnte die ausbleibende Mediation auf die betrachtete Dimension zurückzuführen sein: Frühere Studien haben informationale Gerechtigkeit nicht separat betrachtet, sondern innerhalb der Gesamtgerechtigkeit (Barclay und Kiefer 2014) oder interaktionalen Gerechtigkeit (Jacobs et al. 2014). Damit gehen unterschiedliche Operationalisierungen desselben Konstrukts einher. Angesichts des zwar signifikanten, jedoch tendenziell kleinen Zusammenhangs scheint eine als gering wahrgenommene informationale Gerechtigkeit nur bedingt ein Anlass für negative Affektivität zu sein. Zudem sind unterschiedliche konkrete negativ erlebte Emotionen als Resultat denkbar (Kumar et al. 2019), welche wiederum spezifisch auf Vertrauen wirken könnten. In Bezug auf die Kausalwirkung könnten auch negativ erlebte Emotionen, die aus einer anderweitig erlebten Ungerechtigkeit bestehen, zu grundsätzlicher Kritik an der Zusammenarbeit und damit ebenso negativen Aussagen über das Informationsmanagement führen (Lee 2022). Insgesamt unterstützt dieser Befund die Annahme, dass Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit als distinkte Konstrukte mit differenziellen affektiven Wirksamkeiten betrachtet werden sollten (Hillebrandt und Barclay 2013).

4.1 Limitationen und Implikationen für die Forschung

Die beiden vorgestellten Studien erweitern den Forschungsstand auf mehreren Ebenen: In der bisherigen Forschung zu organisationaler Gerechtigkeit und Vertrauen wurden der Kontext interorganisationaler Zusammenarbeit, die Differenzierung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sowie insbesondere positiv erlebte Emotionen vernachlässigt (Bouazzaoui et al. 2020; Hillebrandt und Barclay 2013). Die vorliegenden Studien tragen dazu bei, diese Lücken zu füllen. Die qualitative Methodik und der Einbezug potenziell möglicher Situationen in Studie 1 erweiterten zudem die Erkenntnisräume.

Dennoch weisen die Studien auch Limitationen auf: So sollten die relativen Häufigkeiten aus Studie 1, insbesondere mit Blick auf die absoluten Häufigkeiten, nur vorsichtig interpretiert werden. Die Generalisierbarkeit auf andere Kontexte ist aufgrund der Vielfalt interorganisationaler Zusammenarbeit und zahlreicher Bedingungen, die unter die jeweiligen Gerechtigkeitsdimensionen fallen, nur eingeschränkt möglich. Die in dieser Studie sehr spezifische Zusammenarbeit von Hochschulen und externen Organisationen legt daher die Untersuchung weiterer interorganisationaler Kontexte nahe. Mit Blick auf die Methodik in Studie 2 ist nicht unumstritten, inwiefern psychologische Konstrukte mit wenigen Items valide operationalisiert werden können und inwiefern Likert-Skalen parametrische Testungen erlauben (z. B. Brown 2011). Es wurde eine Likert-Skala mit 6‑stufiger Skalierung gewählt, da diese als schnell und intuitiv beantwortbar wahrgenommen und auch im Sinne einer Intervallskalierung beantwortet wird, wie Parker et al. (2002) in einer Pilot-Studie zeigen. In weiteren Studien sollte dennoch überprüft werden, inwiefern sich die Befunde als robust erweisen, wenn die Konstrukte mit anderen Instrumenten gemessen werden. Das angewandte Tool zur Teststärkenberechnung G*Power bildet nicht alle Effekte einer Mediation ab. Zukünftige Studien sollten nicht nur größere Stichproben umfassen, sondern bei nichtrandomisierten Prädiktoren wie Gerechtigkeitserleben zusätzliche Kovariaten berücksichtigen, sodass Teststärkenberechnungen mit spezifischen Tools möglich sind (z. B. Qin 2023).

In der zukünftigen Forschung sollten ferner die beschriebenen qualitativen Ergebnisse mittels quantitativer Methoden an einer größeren Stichprobe überprüft werden. Damit könnte neben der potenziell verstärkten Bedeutsamkeit der prozeduralen Dimension für den Vertrauensverlust zugleich der zweidimensionale Ansatz von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sowie Vertrauensaufbau und -verlust validiert werden. Zusätzlich sollte das quantitative Modell von Studie 2 weiter ausdifferenziert werden, indem die übrigen organisationalen (Un‑)Gerechtigkeitsdimensionen geprüft und spezifische Emotionen betrachtet werden. Darüber hinaus können Längsschnittstudien Fragen zu Wirkkreisläufen klären.

4.2 Praktische Implikationen

Verschiedene Schlussfolgerungen lassen sich ableiten, wie die erfolgreiche interorganisationale Zusammenarbeit unterstützt werden könnte. Offenkundig basieren das Vorhandensein sowie das Fehlen von Vertrauen auf unterschiedlichen Wirkfaktoren, sodass sie nicht zwei Seiten derselben Medaille sind. Daher liegt nahe, ein aktives Vertrauensmanagement nicht nur hinsichtlich dessen zu betreiben, wie Vertrauen gefördert werden kann, sondern auch vertrauensschädigende Bedingungen aktiv abzubauen und zu vermeiden. So sollten Vertrauensbrüche durch die Missachtung von Fairnessregeln im Hinblick auf Prozesse und Partizipation achtsam vermieden werden – dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Vertrauen schneller beschädigt wird, als es sich für gewöhnlich aufbaut (Saunders und Thornhill 2004). Gemeinsame Elemente für Aufbau und auch Verlust von Vertrauen dürften im Sinne der distributiven Gerechtigkeit der Mehrgewinn durch die Zusammenarbeit für beide Seiten sowie im Sinne der informationalen Gerechtigkeit ein offener und erklärender Informationsaustausch sein.

Wahrgenommene Gerechtigkeit führt potenziell zu positiv erlebten Emotionen wie Zuversicht und Neugier, welche wiederum die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit der Kooperationspartner:innen stärken können. Folglich kann die Zusammenarbeit durch eine gewisse Sensibilität für die Emotionslage der Beteiligten unterstützt werden, wenn nicht nur negativem Erleben vorgebeugt, sondern positives Erleben etwa über die informationale Gerechtigkeit hinaus gefördert wird. Die interorganisationale Zusammenarbeit nur unter einem rationalisierenden Blick auf Zielsetzungen, Verteilungen und gegenseitige Verpflichtungen zu betrachten, könnte daher zu kurz greifen. Vielmehr sollten Bedingungen und Situationen geschaffen werden, mit denen Freude, Zuversicht oder auch Stolz in der Zusammenarbeit ermöglicht und somit der weitere Kooperationsverlauf in verschiedensten Aspekten positiv beeinflusst werden kann.